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Die Schuppenkeerls

...Die für den Betrieb erforderlichen Arbeitskräfte konnten bis 1900 aus Wietze-Steinförde und aus den umliegenden Ortschaften Hornbostel, Wieckenberg, Jeversen und Winsen/Aller gestellt werden. Durch das plötzliche Ansteigen der Bohr- und Aufschlusstätigkeit mussten nun eine große Anzahl fremder Arbeiter herangezogen werden.

So kam ein großer Strom Leute nach hier.

Sie mussten, da sie hier in der näheren Umgebung keine Wohnung bekommen konnten, in Celle, Hambühren, Oldau, Winsen, Buchholz und Schwarmstedt wohnen.

Die Wohnungsnot war in Wietze schon seit 1901 sehr groß.

Zu dieser Zeit waren die Fahrräder noch sehr teuer (und die ‚Straßen‘ schlecht) – Die Eisenbahn wurde erst 1903 gebaut –, ein Fahrrad kostete etwa 300,-- Mark.

Es war den meisten Leuten bei einem damaligen Schichtlohn von 2,50 M bis 2,90 Mark nicht möglich, sich ein Fahrrad anzuschaffen.

Sie machten die weiten Wege –

Manche täglich 20 km hin, 20 km zurück – zu Fuß bei Wind und Wetter, Sommer und Winter und waren dadurch 16-17 Stunden unterwegs.

Schichtzeit war von früh um 6 Uhr bis abends um 6 Uhr. Die Celler oder Schwarmstedter mussten schon früh um 3 Uhr aus dem Hause gehen und waren abends nach 9 Uhr wieder daheim.

Manche dieser Leute machten das jahrelang. Täglich 40 Kilometer bei 300 Arbeitstagen im Jahr macht 12000 Kilometer! Eine Leistung, die wir Menschen im Zeitalter der Flugzeuge, Autos und Motorräder uns nicht mehr vorstellen können.

Die Heidjer nannten um die Jahrhundertwende diese Männer, die in Wietze arbeiteten, ‚Schuppenkeerls‘.

Das hat seinen Ursprung darin, dass in Wietze alle Maschinenhäuser, Anbauten der Türme, der Ölpumpen und der Schlämmbuden primitive Holzschuppen waren. Und in diesen Schuppen arbeiteten ja diese Männer! Der verstorbene Werkmeister Hederich aus Wietze schreibt dazu: ‚Die originellsten Schuppenkeerls waren die Winsener mit ihrem traditionellen Holster (Ledertasche mit Tragriemen), mit Regenschirm und Handstock (auch Winser Wappen genannt). Da es damals noch keine Regen- oder Wettermäntel gab, so war der Regenschirm der unzertrennliche Begleiter dieser Männer.

Der Holster enthielt die Tagesration: Etwa 1 ½ Pfund Brot, ½-¾ Pfund Speck oder Schinken, ½ Knackwurst oder 3 Eier, eine Holzdose mit Butter, 1 kleine Flasche Schnaps und ein Döschen mit gemahlenem Kornkaffee.

Für die Wietzer Bauern waren diese Schuppenkeerls im Sommer der Wecker und sie riefen früh morgens ihre Leute mit den Worten: ‚Es ist Zeit zum Aufstehen, die Wietzer Schuppenkeerls sind schon vorbi!‘

Als im Herbst 1903 die Eisenbahn Celle-Wietze in Betrieb genommen wurde, sind trotzdem noch einige Leute wieder den Weg von Winsen nach Wietze zu Fuß zur Arbeit gegangen. Als die gefragt wurden, warum sie die Eisenbahn nicht benutzen, sagten sie: ‚Unsere Kameraden, die mit der Bahn fahren, gehen zur gleichen Zeit aus dem Hause wie wir, warten auf dem Bahnhof ¼ Stunde auf den Zug, fahren ¼ Stunde bis Wietze und haben dann vom Bahnhof zur Arbeitsstelle noch 25-30 Minuten zu laufen. Wenn sie da eintreffen, haben wir uns schon umgezogen und außerdem sparen wir noch wöchentlich 80 Pfennig Fahrgeld!...

[aus: Albert Hartmann, Geschichten um Wietze und Erdöl von "Anno dazumal", Wietze 1959, S. 22 ff.]